Stadtrechtsprivileg Leopolds VI.

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Reitersiegel Herzog Leopolds VI. am Flandrenserprivileg aus 1208
Daten zum Eintrag
Datum vonDatum (oder Jahr) von 18. Oktober 1221 JL
Datum bisDatum (oder Jahr) bis
Siehe auchVerweist auf andere Objekte im Wiki  Mittelalter, Stadtverfassung, Leopold VI.
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BildnameName des Bildes Reitersiegel LeopoldVI.jpg
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Am 18. Oktober 1221 von Herzog Leopold VI. an Wien verliehenes Stadtrecht. Das Zusammenleben von Menschen in einer verdichteten Siedlung, einer Stadt, erforderte die Bewältigung vielschichtiger Alltagsprobleme. Mit dem Anwachsen des ökonomischen Gewichts konnte die Bürgergemeinde gegenüber dem Stadtherrn selbstbewusst auftreten. Punktuell wurden den Bürgern bald Sonderrechte eingeräumt wie zum Beispiel die Verleihung der Burgmaut um 1200 oder das Privileg für das Consortium flandrischer Kaufleute im Jahr 1208. Von derartigen Verleihungen heben sich Stadtrechtsprivilegien ab, die als Kodifizierungsversuche des in einer Stadt geltenden materiellen Rechts zu sehen sind.

Erste Seite des Stadtrechtsprivilegs in der abschriftlichen Überlieferung im Codex 352 Han der Österreichischen Nationalbibliothek, Ende 13. Jahrhundert
Passage über die Einsetzung eines Rates von 24 Bürgern, des Vorläufers des Inneren Rats, ÖNB, Codex 352 Han, fol. 75v

Inhalt und Datierung

Am 18. Oktober 1221 verlieh Herzog Leopold VI. der Wiener Bürgergemeinde auf ihr Bitten ein Stadtrecht (Hinc est, quod nos civium nostrorum Wiennensium devotionem petitionemque affectuosam pia animadvertentes consideratione donavimus ...) . Den Hauptteil bildet eine gewohnheitsrechtlich fixierte Friedensordnung (pax), die eine Adaptierung des Landrechts darstellt. Einige Festlegungen waren bereits in ein Privileg für die Regensburger Kaufleute 1192 aufgenommen worden und waren auch schon ins Ennser Stadtrecht eingeflossen. Die Stellung des Herzogs in der Stadt findet in einigen Bestimmungen Ausdruck. So behält er gewisse Gerichtsfälle seinem Gericht vor, wie er auch auf die Aufnahme von Neubürgern Einfluss nimmt. Dem von ihm ernannten Stadtrichter, welcher erstmals 1192 erwähnt ist, wird neben dem Richteramt auch der Vorsitz in den Ratssitzungen übertragen. Die verfassungsrechtlich wichtigsten Bestimmungen betreffen die Schaffung zweier Gremien, von denen das erste aus 24 Bürgern (cives prudentiores) bestehen sollte und den Vorgänger des (inneren) Rats bildete. Der herzogliche Stadtrichter verfügte über kein Einspruchsrecht gegen ihre Verfügungen. Das zweite war jenes der 100 (oder mehr) Genannten. Das Stadtrecht ist in Kapitel über Straf-, Privat-, Fremden- und Handelsrecht gegliedert und fixiert neben anderen Inhalten auch das Stapelrecht (Artikel 23).

Abhandlung in 29 Artikeln

Die insgesamt 29 Artikel behandeln folgende Materien: (1) Verfahren und Strafe betreffend einen Bürger von mehr als 50 Pfund Besitz in der Stadt bei Totschlag und Verwundung, und zwar Ladung, Notwehrbeweis durch Glüheisen bei Totschlag, durch Eid mit Helfern bei schwerer Verwundung, dieselbe Reinigung bei Klagen wegen verschiedener Wunden, Zulässigkeit der Flucht, verbunden mit Ächtung, und zwar selbst nach misslungener Reinigung, Verfahren und Beweis bei handhafter Tat. Verhaftung eines minder als 50 Pfund besitzenden Bürgers, wenn nicht ein fünfzigpfündiger für ihn bürgt, im Falle des Totschlags; (2) Ladung und nachträgliche Verhaftung eines solchen Bürgers bei tödlich scheinenden Wunden. Für Wunden überhaupt entweder Buße oder Talion mit herzoglicher Überprüfung oder Judicatur in verschiedenen Fällen, Haft und subsidiäre Wasserprobe bei nächtlicher Verwundung, (3) Voreid des Klägers, Alibibeweis, (4) Stockprügel, Schläge, Maulschellen und ihre Bußen je nach dem persönlichen Ansehen des Verletzten, (5) Lösung der Acht durch Buße, der Aberacht nur mit Zustimmung des Verletzten, (6) Strafe und Verfahren bei Aufnahme eines Geächteten, (7) Verpflichtung zur Annahme von Bußen, Strafen und Verfahren bei Notzucht,(8) mit welcher Klage aber gemeine Frauen nicht gehört werden sollen. (9) Hausfrieden und Schutz gegen Heimsuchung, (10) Feststellung des Anklageverfahrens ohne Ausnahme, Verpflichtung zum Wandel an den Richter bei nicht fortgesetzter Klage, (11) Schutz aller Einwanderer und besonders der Bürgerrechtskandidaten, (12) Schlägereien, Haftung und Nichthaftung für Missetaten der Hausangehörigen, (13) Schimpfworte, (14) falsches Zeugnis, (15) Lästerung Gottes und der Heiligen, (16 und 24) Tragen offener und verborgener Messer sowie in einem späteren Artikel von Pfeilen und gespannten Bogen und Ahndung (für Fremde und Bürger), (17) Einsetzung von hundert Genannten als Beweiszeugen, (18) Schutz der Witwen und Waisen, (19) Freiheit und Heirat außer mit einem miles, Testierfreiheit lediger Bürger, Erbfähigkeit ihrer fremden aber ins herzogliche Land übersiedelnden Verwandten, (20) Testierfreiheit der Gäste, Verlassenschaftsabhandlung nach ihnen. (21) Kein Zeugnis von Leitkäufern zwischen Fremden und Bürgern, (22) ohne Klage keine Einmischung des Richters in Rechtsgeschäfte, (23) Stapelzwang fremder Handelsleute (aus Schwaben, Regensburg oder Passau). (25) Verantwortlichkeit des Hausherrn für Feuersbrunst, (26) Strafe des falschen Maßes. (27) Taxen für den Nachrichter und für den Frohnboten. (28) Einsetzung eines Rates von 24 Männern für Markt und andere städtische Angelegenheiten, dessen Beschlüsse auch der Richter zu befolgen hat. (29) Zuständigkeit des Pfarrers nicht Richters bei Ehebruch.

Zeugen und Datierung

Als Zeugen der Rechtsverleihung traten namentlich nicht genannte Bürger der Stadt, die als consules civitatis bezeichnet werden, in Erscheinung. Diese waren Vertreter der politischen Führungsschicht der Stadt. Bemerkenswert, weil einzigartig, ist die Datierung des Privilegs. Neben der Orts-, Tages- und Inkarnationsjahresangabe werden die Herrschaftsjahre des regierenden Papstes (Honoriius II.) wie auch des Kaisers (Friedrich II.) angeführt. Zudem wird – und das ist außerordentlich – auf ein tagesaktuelles „weltpolitisches“ Ereignis Bezug genommen: rund sechs Wochen vor der Ausstellung des Dokuments hatte Sultan al-Kamil Damiette von den Kreuzfahrern zurückerobert. Leopold VI. hatte selbst ein Jahr (1218/19) lang mit einem Kreuzfahrerheer vor Damiette gelegen und wesentlichen Anteil an den Kämpfen um die Stadt genommen. Seine persönliche Betroffenheit über den Verlust der wichtigen Festung am Nil kommt in dieser Erwähnung zum Ausdruck.

Hintergrund für die Stadtrechtsverleihung

Die relativ späte Kodifizierung des Stadtrechts in Wien lässt sich durch die in Wien seit der Mitte des 12. Jahrhunderts enge Verbindung mit dem herzoglichen Stadtherrn erklären. Das bereits 1212 mit einem Stadtrecht privilegierte Enns war erst unter Leopold V. an Österreich gefallen und sah sich daher eher genötigt sein Stadtrecht zu verschriftlichen und anerkennen zu lassen. Wien folgte erst ein Jahrzehnt später. Der Grund für die Ausstellung des Wiener Stadtrechtsprivilegs dürfte in der der Verleihung des Stapelrechts, auch „Niederlage“ genannt, zu suchen sein.

Überlieferung

Das Stadtrechtsprivileg von 1221 ist nur in Abschriften überliefert. Entgegen der Angabe des Wolfgang Lazius ist es auch das älteste, das den Wienern verliehen worden ist. Die älteste und wichtigste Überlieferung des Stadtrechtsprivilegs von 1221 ist auf einem später eingehefteten Doppelblatt im Codex lat. 16083 in der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhalten. Der Codex kommt aus dem Chorherrenstift St. Nikola bei Passau. Aus dem letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts stammen zwei Abschriften im Codex 352 Han der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Anlage dieses Codex wird in St. Niklas vor dem Stubentor vermutet. Schließlich ist der Text noch in Codex 2733 Han der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten, der mit der Kartause Seitz in Verbindung steht. Dieser stand Lazius für die Bearbeitung zu Verfügung wie Randnotizen zeigen. Das Eisenbuch kennt das Privileg von 1221 nicht.

Siehe auch: Stadtverfassung

Quellen

Literatur

  • Peter Csendes, Das Wiener Stadtrechtsprivileg von 1221. Wien-Köln-Graz: Böhlau 1987 (inklusive Edition, Übersetzung und Kommentar)
  • Heinrich Schuster: Die Entwicklung des Rechtslebens, Verfassung und Verwaltung. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Alterthumsvereine zu Wien. Band 1: Bis zur Zeit der Landesfürsten aus habsburgischem Hause. Wien: Holzhausen 1897, S. 293-396, insbesondere S. 306-315
  • Johann A. Tomaschek: Die Rechte und Freiheiten der Stadt Wien (= Geschichts-Quellen der Stadt Wien, herausgegeben im Auftrag des Gemeinderathes der kaiserl. Haupt- und Residenzstadt Wien von Karl Weiss 2), Wien 1879, S. 8 – 14